Die allgemeine Koalitionsspekulationswelle nach den jüngsten Landtagswahlen richtet sich nun natürlich auf
Hamburg und
die Option einer ersten Schwarz-Grünen Landesregierung. Das ist tatsächlich wesentlich interessanter als die
SPD, die über Herrn Becks "Linksschwenk" streitet, und Frau Ypsilantis angestrengtes Nachdenken, ob sie sich tatsächlich zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen will - inzwischen
definitiv ohne die FDP.
Auch die Grünen quälen sich seit der Hessen-Wahl mit der Gretchenfrage "Wie hälst Du es mit den Linken?", siehe auch
hier sowie
hier noch eine Minderheitenmeinung. - Der Parteienforscher
Franz Walter steuert wie immer einen intelligenten Kommentar bei und fragt mit Bezug auf die mögliche schwarz-grüne Regierungsbildung "Denn was tut die Union, wenn ihr ein wichtiges Feindbild abhanden kommt - und was die Grünen, wenn die Wähler fliehen?":
Riskanter Flirt der verwandten Seelen. Allerdings, trotz einer gewissen Angleichung der Partei-Milieus mögen sich die jeweiligen WählerInnengruppen einander nicht so recht:
Da würde in der Tat einiges zusammengehen. Und doch müssen beide Parteien aufpassen. Bei einem schwarz-grünen Versuch in Hamburg würden der Union allmählich die politischen Gegner verlorengehen, zumal sie ja schon in fünf Bundesländern und im Bund selbst mit dem traditionellen sozialdemokratischen Gegner im Bündnis stehen. Ganz ohne Feindbild aber kommen politische Gemeinschaften nicht aus. Denn der Feind schärft die eigene Identität, stiftet im Inneren Zusammenhalt und fördert Mobilisierungsenergie nach außen. Gerade die CDU/CSU weiß um diese Zusammenhänge.
Und auch für die Grünen ist eine Allianz mit der Union nach wie vor prekär. Denn die Partei lebt seit Jahren in ihren Erfolgen von den Wählern aus dem Zwischenbereich zur SPD. Für die, aber auch für etliche der genuinen Kernwähler der Grünen war die Ablehnung der "Konservativen" biographisch konstitutiv, prägend in den Jahren der eigenen politischen Sozialisation. Im Übrigen mögen gerade die allerjüngsten Wähler das schwarz-grüne Modell nicht, wie im Vorfeld der Hamburg-Wahlen sorgfältige Erhebungen illustrierten.
Schwarz-Grün könnte also für kräftige Wählerwanderungen sorgen – fort von der Partei der Frau Künast und des Herrn Kuhn.
Die grüne Parteirätin Julia Seeliger hat sich in der Hamburg-Frage selbst
Zurückhaltung auferlegt, dafür wird
in den Kommentaren ihres Blogs umso fröhlicher losspekuliert. Die Debatte erinnerte mich ein wenig an die Bremer Grünen Anfang der Neunziger und die erste Ampel-Koalition, weswegen ich mich mit folgenden Gedanken am Kommentieren beteiligt habe:
Am Ende der Bremer Debatte wurde massiv damit argumentiert, dass man die Ampel dringend brauche, gerade wegen dem bundesweiten Signal - also um zu beweisen, dass die Grünen mitregieren können (da ja die nächsten Wahlen in Sichtweite seien etc.), auch grade weil zu der Zeit kaum irgendwo klare Mehrheiten für Rot-Grün in greifbarer Nähe waren. Was nicht ganz so verschieden von der heutigen Situation ist, wenn auch mit inzwischen verändertem Parteiensystem.
Die erwähnte Argumentation erlebte ich übrigens auf dem zweiten Landesparteitag der Bremer Grünen, welcher über den vorliegenden Koalitionsvertrag abstimmte, ein erster hatte sich bereits dagegen entschieden und der alte
Running Gag, “solange abstimmen lassen, bis das Ergebnis stimmt”, wurde zur bitteren Realität.
Bei Teilen der Grünen gibt es nun einige recht optimistische Hoffnungen auf ein sehr weit gehendes Entgegenkommen der CDU gegenüber ihrer Partei bei den kommenden Hamburger Koalitionsverhandlungen, begründet mit einem Interesse der Union, so ihre Koalitionsoptionen bundesweit zu erweitern.
Dagegen fürchte ich, dass seitens der CDU keineswegs "massive Zugeständnisse" zu erwarten sind. Schliesslich ist es mit dem für die CDU unterstellten Gewinn an Handlungsoptionen nicht ganz so einfach: Auch diese Partei hat eine Basis, deren kulturelle Vorbehalte möglicherweise in Teilen noch heftiger ausfallen als bei den Grünen (siehe auch Franz Walter). Da ändern lokale Kooperationen m.E. in der ganzen Breite der Partei nur bedingt etwas dran (siehe Mitgliederstruktur der Unionsparteien) und schließlich waren die Grünen für die Mehrzahl der CDU-Mitglieder noch vor etwa fünfzehn Jahren (wenn nicht noch wesentlich länger) etwas ähnlich Schlimmes wie bis vor kurzem die PDS. Genauso schwer dürfte vor diesem Hintergrund das taktische Problem für die Unionsspitze wiegen: Kann die Union die SPD im nächsten Bundestagswahlkampf noch genauso effektiv des Einknickens gegenüber den “roten Socken” bezichtigen, wenn sie den ehemaligen “Ökospinnern” gerade erst wesentliche Zugeständnisse gemacht hat? Sonst wird das womöglich wieder nichts mit Schwarz-Gelb…
Damit kein Missverständnis aufkommt: Das alles wird die Hamburger CDU nicht zwingend vom Koalieren abhalten, aber auch nicht gerade dazu bringen, sehr großzügig gegenüber den Grünen zu sein. Deshalb auch mein obiger Verweis auf die Bremer Geschichte, so als kleine Aussicht, was einem/einer so blühen kann, bis ein unbeliebter Koalitionsvertrag durchgepeitscht ist.
Meine These wäre: Wesentliche Zugeständnisse sind nur im Bereich Umwelt zu erwarten, das Thema ist (in aller Allgemeinheit) schliesslich im Konsens der BRD angekommen und hiervon erhofft sich die CDU auch eine Modernisierung ihres Images. Gerade beim Bereich Inneres wird die CDU sich gar nichts wegnehmen lassen wollen, dafür dürfte die Erinnerung an den Erfolg der Schill-Partei noch zu frisch sein…
Ansonsten vermute ich, dass das beliebte Argument der Erweiterung von Koalitionsoptionen eher eines aus grüner Sicht und aus grünem Bedürfnis ist. Dies bedeutet, dass es für die CDU wesentlich weniger handlungsleitend ist, da dieses Argument für die Unionsparteien die Probleme des Fünf-Parteien-Systems ja nicht wirklich auflöst: Grün statt Gelb als Partnerin gereicht wohl weder auf Bundesebene noch in den meisten Landesparlamenten der Union zu mehr Machtoptionen, außer in einer Erweiterung zu Schwarz-Gelb-Grün, welche aber neue Probleme bringt und vermutlich eher ein Ausnahmefall bliebe. Die Jamaika-Debatte ist ja nach der Bundestagswahl 2005 bereits ausführlich aufgeführt worden und ich kann immer noch nicht recht erkennen, was speziell die Grünen bei dieser Koalition nachhaltig zu gewinnen hätten.
(Nebenbei ist mir völlig schleierhaft, wie die Grünen in dieser Konstellation, sprich mit dieser FDP, die Bürgerrechte hochhalten wollen.)
Apropos Jamaika:
Franz Walter hat 2006 den lesenswerten Essay-Band "Träume von Jamaika" bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht. Sein Rezensent Jürgen Rüttgers fasst Walters Schlussfolgerungen aus dem titelgebenden Essay
bei SpOn so zusammen:
Allerdings gibt Walter völlig zu recht zu bedenken: Jamaika wäre eben nicht nur die "Wiedervereinigung des kulturell zerfasernden Bürgertums" – es wäre für ihn auch die "politische Kriegserklärung der gesellschaftlichen Beletage an die Souterrains der Nation". Daran aber hat – das weiß der Rezensent sehr genau – zumindest die CDU als christlich geprägte Volkspartei kein Interesse – und deshalb liegt Jamaika wohl doch bis auf weiteres in der Karibik.