Ludger Volmer, Mitbegründer der Partei „Die Grünen“ (1991-1994 Parteivorsitzender, 1998-2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt; lehrt inzwischen als Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin), rechnet nach den Landtagswahlen vom Januar mit dem Kurs seiner Partei ab und mahnt "notwendige Reflexionen" an. – Das verdient ausführliches Zitieren:
Das Hauptproblem liegt m.E. aber darin, dass der grüne Grundwert „sozial“ bis zur Unkenntlichkeit verblasst ist. Es rächen sich heute – und das war voraussehbar – strategische Fehlentscheidungen von vor 10-15 Jahren: nämlich die Partei von einer sozial-ökologischen in eine ökologische Bürgerrechtspartei umzumodeln.
Solange ich für die Gesamtentwicklung der Partei Verantwortung trug – vom Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre – war mir klar, und ich versuchte dies auch als Linie der Parteiführung zu implementieren: eine Ausweitung der PDS nach Westen muss unbedingt verhindert werden! Das war eine strategische Entscheidung. Ein politischer Wille. Er motivierte sich aus der Einschätzung, dass die Westausdehnung der PDS den Grünen die Bedeutung nehmen würde. Inhaltlich, weil die Linke in der sozialen Frage entschiedener auftreten würde; strategisch, weil sie die von der SPD enttäuschten Protestwähler auffangen würde; und kulturell, weil sie das interessantere Momentum in der deutschen Politik darstellen würde. Diese PDS- Eindämmungspolitik war damals effektiv, wie Gysi selbst mir bestätigte. Und sie wirkte auch noch bis Ende der 90er Jahre fort, obwohl ihre Voraussetzungen in der grünen Politik bereits erodierten. Mit den Wahlerfolgen der „Linken“ nun ist nicht nur der GAU für die Grünen eingetreten, sondern der Super-GAU. Der Super-GAU – zur Erinnerung – ist der Größte Anzunehmende Unfall, der nicht mehr beherrschbar, der irreversibel ist.
Das Feld der epochalen Niederlage der Grünen ist die soziale Frage, das Kernthema der „Linken“. Die Niederlage auf die Demagogie eines Lafontaine oder den Talkshow-Witz eines Gysi zu schieben, wäre zu billig. Es sind die Grünen selbst, die sich ihre Basis abgegraben haben.
Nach einem Abriss des Niedergangs der sozialen Frage in der grünen Partei, garniert mit einigen Schuldzuweisungen an Joschka Fischer u.a. grüne Spitzenleute, stellt Volmer den Verlust der "entscheidenden Schlacht gegen die Westausdehnung der Linken" und eine "Position der Schwäche" für die Grünen fest, um dann folgende Perspektiven aufzuzeigen:
Und nur wenn der Oppositionscharme der Linken dekonstruiert wird, indem man diese Partei durch Regierungsbeteiligung dem Fundi-Realo-Streit aussetzt, der einst die Grünen spaltete, tun sich neue Horizonte auf. Wenn die Integrationskraft der
Gysis und Biskys nachlässt, könnte es – best case aus grüner Sicht - zu einer Entmischung kommen bei den Linken. Ökologische Modernisierer könnten sich scheiden von Fundis, Querulanten und Stalinisten. Dann gäbe es die Chance, den Dialog, der einst verpasst wurde, mit neuen strategischen Optionen zu führen – vielleicht sogar einer Fusion, diesmal der richtigen?
Ja sicher, das könnte den Grünen so passen, dass die linke Partei sich einer Neuauflage überkommener Strömungsauseinandersetzungen hingibt und durch den Streit über Regierungsbeteiligungen auseinanderbrechen möge. Die Fusionsspekulation ist nicht uninteressant, aber offenbar vor dem Hintergrund von Volmers Hoffnung auf eine Spaltung der Linkspartei zu verstehen. – Wenn dann nur die "ökologischen Modernisierer" mit der grünen Partei über eine "Fusion" verhandelten, was wäre dann noch für die bei den Grünen auf den Hund gekommene soziale Frage gewonnen?
Ludger Volmers Analysepapier ist zu finden auf Grüne Linke als PDF.