27. Februar 2008

Ein neues Volkszählungsurteil?

Das Bundesverfassungsgericht hat heute die Änderung des nordrheinwestfälischen Verfassungsschutzgesetz (zwecks "Online-Durchsuchung") als mit dem Grundgesetz unvereinbar zurückgewiesen und in seiner Begründung ein neues Grundrecht festgestellt:

Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von Informationssystemen
Siehe Pressemitteilung BVerfG, Leitsätzsätze des Urteils

Leider hat das Bundesverfassungsgericht Online-Durchsuchungen trotzdem unter strengen Auflagen erlaubt, damit ist der "Bundes-Trojaner" noch nicht abgewendet.
Mehr in der ausführlichen Berichterstattung bei netzpolitik.org von Markus Beckedahl.
Kurze Einschätzung: Schön, dass wir jetzt ein “Computer-Grundrecht” haben, was an das digitale Zeitalter angepasst ist. Das war längst überfällig. Welche Auswirkungen es hat und wie man es genau ausgestalten kann, wird die Zukunft zeigen. Es wäre natürlich schöner gewesen, das Bundesverfassungsgericht hätte das Grundrecht mit weniger Schrankenregelungen ausgestaltet. Es wird sich zeigen, ob und wie trickreiche Sicherheitspolitiker damit umgehen werden.

Markus Beckedahl verweist auch auf ein Statement von Andreas Bogk vom CCC und Sachverständiger beim Bundesverfassungsgericht:
“Daß die das NRW-Gesetz kippen, war klar, daß sie so klar und deutlich sagen, daß es ein Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gibt, ist sehr erfreulich, und hat in etwa die Tragweite des Volkszählungsurteils.”


Die liebenswerten Öko-Prolls vom CCC ("Kabelsalat ist gesund") bieten in ihrer kämpferischen Pressemitteilung die richtige Perspektive:
"Der Bundestrojaner wurde zwar regelrecht notgeschlachtet, doch weitere wichtige Grundrechtsentscheidungen stehen an. Wir erwarten jedoch nicht, dass Schäuble und Wiefelspütz plötzlich die Verfassung ernst nehmen. Das neue Grundrecht wird erst durch aggressive Verteidigung und Anwendung lebendig, hier sind wir alle gefragt", so Dirk Engling.


Mal was anderes als Koalitionspekulationen.

Koalitionsspekulationen: Grün lackierter Großstadtkonservatismus?

Die allgemeine Koalitionsspekulationswelle nach den jüngsten Landtagswahlen richtet sich nun natürlich auf Hamburg und die Option einer ersten Schwarz-Grünen Landesregierung. Das ist tatsächlich wesentlich interessanter als die SPD, die über Herrn Becks "Linksschwenk" streitet, und Frau Ypsilantis angestrengtes Nachdenken, ob sie sich tatsächlich zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen will - inzwischen definitiv ohne die FDP.

Auch die Grünen quälen sich seit der Hessen-Wahl mit der Gretchenfrage "Wie hälst Du es mit den Linken?", siehe auch hier sowie hier noch eine Minderheitenmeinung. - Der Parteienforscher Franz Walter steuert wie immer einen intelligenten Kommentar bei und fragt mit Bezug auf die mögliche schwarz-grüne Regierungsbildung "Denn was tut die Union, wenn ihr ein wichtiges Feindbild abhanden kommt - und was die Grünen, wenn die Wähler fliehen?": Riskanter Flirt der verwandten Seelen. Allerdings, trotz einer gewissen Angleichung der Partei-Milieus mögen sich die jeweiligen WählerInnengruppen einander nicht so recht:
Da würde in der Tat einiges zusammengehen. Und doch müssen beide Parteien aufpassen. Bei einem schwarz-grünen Versuch in Hamburg würden der Union allmählich die politischen Gegner verlorengehen, zumal sie ja schon in fünf Bundesländern und im Bund selbst mit dem traditionellen sozialdemokratischen Gegner im Bündnis stehen. Ganz ohne Feindbild aber kommen politische Gemeinschaften nicht aus. Denn der Feind schärft die eigene Identität, stiftet im Inneren Zusammenhalt und fördert Mobilisierungsenergie nach außen. Gerade die CDU/CSU weiß um diese Zusammenhänge.
Und auch für die Grünen ist eine Allianz mit der Union nach wie vor prekär. Denn die Partei lebt seit Jahren in ihren Erfolgen von den Wählern aus dem Zwischenbereich zur SPD. Für die, aber auch für etliche der genuinen Kernwähler der Grünen war die Ablehnung der "Konservativen" biographisch konstitutiv, prägend in den Jahren der eigenen politischen Sozialisation. Im Übrigen mögen gerade die allerjüngsten Wähler das schwarz-grüne Modell nicht, wie im Vorfeld der Hamburg-Wahlen sorgfältige Erhebungen illustrierten.
Schwarz-Grün könnte also für kräftige Wählerwanderungen sorgen – fort von der Partei der Frau Künast und des Herrn Kuhn.


Die grüne Parteirätin Julia Seeliger hat sich in der Hamburg-Frage selbst Zurückhaltung auferlegt, dafür wird in den Kommentaren ihres Blogs umso fröhlicher losspekuliert. Die Debatte erinnerte mich ein wenig an die Bremer Grünen Anfang der Neunziger und die erste Ampel-Koalition, weswegen ich mich mit folgenden Gedanken am Kommentieren beteiligt habe:

Am Ende der Bremer Debatte wurde massiv damit argumentiert, dass man die Ampel dringend brauche, gerade wegen dem bundesweiten Signal - also um zu beweisen, dass die Grünen mitregieren können (da ja die nächsten Wahlen in Sichtweite seien etc.), auch grade weil zu der Zeit kaum irgendwo klare Mehrheiten für Rot-Grün in greifbarer Nähe waren. Was nicht ganz so verschieden von der heutigen Situation ist, wenn auch mit inzwischen verändertem Parteiensystem.
Die erwähnte Argumentation erlebte ich übrigens auf dem zweiten Landesparteitag der Bremer Grünen, welcher über den vorliegenden Koalitionsvertrag abstimmte, ein erster hatte sich bereits dagegen entschieden und der alte Running Gag, “solange abstimmen lassen, bis das Ergebnis stimmt”, wurde zur bitteren Realität.
Bei Teilen der Grünen gibt es nun einige recht optimistische Hoffnungen auf ein sehr weit gehendes Entgegenkommen der CDU gegenüber ihrer Partei bei den kommenden Hamburger Koalitionsverhandlungen, begründet mit einem Interesse der Union, so ihre Koalitionsoptionen bundesweit zu erweitern.
Dagegen fürchte ich, dass seitens der CDU keineswegs "massive Zugeständnisse" zu erwarten sind. Schliesslich ist es mit dem für die CDU unterstellten Gewinn an Handlungsoptionen nicht ganz so einfach: Auch diese Partei hat eine Basis, deren kulturelle Vorbehalte möglicherweise in Teilen noch heftiger ausfallen als bei den Grünen (siehe auch Franz Walter). Da ändern lokale Kooperationen m.E. in der ganzen Breite der Partei nur bedingt etwas dran (siehe Mitgliederstruktur der Unionsparteien) und schließlich waren die Grünen für die Mehrzahl der CDU-Mitglieder noch vor etwa fünfzehn Jahren (wenn nicht noch wesentlich länger) etwas ähnlich Schlimmes wie bis vor kurzem die PDS. Genauso schwer dürfte vor diesem Hintergrund das taktische Problem für die Unionsspitze wiegen: Kann die Union die SPD im nächsten Bundestagswahlkampf noch genauso effektiv des Einknickens gegenüber den “roten Socken” bezichtigen, wenn sie den ehemaligen “Ökospinnern” gerade erst wesentliche Zugeständnisse gemacht hat? Sonst wird das womöglich wieder nichts mit Schwarz-Gelb…
Damit kein Missverständnis aufkommt: Das alles wird die Hamburger CDU nicht zwingend vom Koalieren abhalten, aber auch nicht gerade dazu bringen, sehr großzügig gegenüber den Grünen zu sein. Deshalb auch mein obiger Verweis auf die Bremer Geschichte, so als kleine Aussicht, was einem/einer so blühen kann, bis ein unbeliebter Koalitionsvertrag durchgepeitscht ist.
Meine These wäre: Wesentliche Zugeständnisse sind nur im Bereich Umwelt zu erwarten, das Thema ist (in aller Allgemeinheit) schliesslich im Konsens der BRD angekommen und hiervon erhofft sich die CDU auch eine Modernisierung ihres Images. Gerade beim Bereich Inneres wird die CDU sich gar nichts wegnehmen lassen wollen, dafür dürfte die Erinnerung an den Erfolg der Schill-Partei noch zu frisch sein…
Ansonsten vermute ich, dass das beliebte Argument der Erweiterung von Koalitionsoptionen eher eines aus grüner Sicht und aus grünem Bedürfnis ist. Dies bedeutet, dass es für die CDU wesentlich weniger handlungsleitend ist, da dieses Argument für die Unionsparteien die Probleme des Fünf-Parteien-Systems ja nicht wirklich auflöst: Grün statt Gelb als Partnerin gereicht wohl weder auf Bundesebene noch in den meisten Landesparlamenten der Union zu mehr Machtoptionen, außer in einer Erweiterung zu Schwarz-Gelb-Grün, welche aber neue Probleme bringt und vermutlich eher ein Ausnahmefall bliebe. Die Jamaika-Debatte ist ja nach der Bundestagswahl 2005 bereits ausführlich aufgeführt worden und ich kann immer noch nicht recht erkennen, was speziell die Grünen bei dieser Koalition nachhaltig zu gewinnen hätten.
(Nebenbei ist mir völlig schleierhaft, wie die Grünen in dieser Konstellation, sprich mit dieser FDP, die Bürgerrechte hochhalten wollen.)

Apropos Jamaika: Franz Walter hat 2006 den lesenswerten Essay-Band "Träume von Jamaika" bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht. Sein Rezensent Jürgen Rüttgers fasst Walters Schlussfolgerungen aus dem titelgebenden Essay bei SpOn so zusammen:
Allerdings gibt Walter völlig zu recht zu bedenken: Jamaika wäre eben nicht nur die "Wiedervereinigung des kulturell zerfasernden Bürgertums" – es wäre für ihn auch die "politische Kriegserklärung der gesellschaftlichen Beletage an die Souterrains der Nation". Daran aber hat – das weiß der Rezensent sehr genau – zumindest die CDU als christlich geprägte Volkspartei kein Interesse – und deshalb liegt Jamaika wohl doch bis auf weiteres in der Karibik.

16. Februar 2008

Ludger Volmer: Der grüne Super-GAU

Die Landtagswahlen von Hessen und Niedersachsen – der grüne Super-GAU

Ludger Volmer, Mitbegründer der Partei „Die Grünen“ (1991-1994 Parteivorsitzender, 1998-2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt; lehrt inzwischen als Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin), rechnet nach den Landtagswahlen vom Januar mit dem Kurs seiner Partei ab und mahnt "notwendige Reflexionen" an. – Das verdient ausführliches Zitieren:
Das Hauptproblem liegt m.E. aber darin, dass der grüne Grundwert „sozial“ bis zur Unkenntlichkeit verblasst ist. Es rächen sich heute – und das war voraussehbar – strategische Fehlentscheidungen von vor 10-15 Jahren: nämlich die Partei von einer sozial-ökologischen in eine ökologische Bürgerrechtspartei umzumodeln.

Solange ich für die Gesamtentwicklung der Partei Verantwortung trug – vom Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre – war mir klar, und ich versuchte dies auch als Linie der Parteiführung zu implementieren: eine Ausweitung der PDS nach Westen muss unbedingt verhindert werden! Das war eine strategische Entscheidung. Ein politischer Wille. Er motivierte sich aus der Einschätzung, dass die Westausdehnung der PDS den Grünen die Bedeutung nehmen würde. Inhaltlich, weil die Linke in der sozialen Frage entschiedener auftreten würde; strategisch, weil sie die von der SPD enttäuschten Protestwähler auffangen würde; und kulturell, weil sie das interessantere Momentum in der deutschen Politik darstellen würde. Diese PDS- Eindämmungspolitik war damals effektiv, wie Gysi selbst mir bestätigte. Und sie wirkte auch noch bis Ende der 90er Jahre fort, obwohl ihre Voraussetzungen in der grünen Politik bereits erodierten. Mit den Wahlerfolgen der „Linken“ nun ist nicht nur der GAU für die Grünen eingetreten, sondern der Super-GAU. Der Super-GAU – zur Erinnerung – ist der Größte Anzunehmende Unfall, der nicht mehr beherrschbar, der irreversibel ist.

Das Feld der epochalen Niederlage der Grünen ist die soziale Frage, das Kernthema der „Linken“. Die Niederlage auf die Demagogie eines Lafontaine oder den Talkshow-Witz eines Gysi zu schieben, wäre zu billig. Es sind die Grünen selbst, die sich ihre Basis abgegraben haben.

Nach einem Abriss des Niedergangs der sozialen Frage in der grünen Partei, garniert mit einigen Schuldzuweisungen an Joschka Fischer u.a. grüne Spitzenleute, stellt Volmer den Verlust der "entscheidenden Schlacht gegen die Westausdehnung der Linken" und eine "Position der Schwäche" für die Grünen fest, um dann folgende Perspektiven aufzuzeigen:
Und nur wenn der Oppositionscharme der Linken dekonstruiert wird, indem man diese Partei durch Regierungsbeteiligung dem Fundi-Realo-Streit aussetzt, der einst die Grünen spaltete, tun sich neue Horizonte auf. Wenn die Integrationskraft der
Gysis und Biskys nachlässt, könnte es – best case aus grüner Sicht - zu einer Entmischung kommen bei den Linken. Ökologische Modernisierer könnten sich scheiden von Fundis, Querulanten und Stalinisten. Dann gäbe es die Chance, den Dialog, der einst verpasst wurde, mit neuen strategischen Optionen zu führen – vielleicht sogar einer Fusion, diesmal der richtigen?

Ja sicher, das könnte den Grünen so passen, dass die linke Partei sich einer Neuauflage überkommener Strömungsauseinandersetzungen hingibt und durch den Streit über Regierungsbeteiligungen auseinanderbrechen möge. Die Fusionsspekulation ist nicht uninteressant, aber offenbar vor dem Hintergrund von Volmers Hoffnung auf eine Spaltung der Linkspartei zu verstehen. – Wenn dann nur die "ökologischen Modernisierer" mit der grünen Partei über eine "Fusion" verhandelten, was wäre dann noch für die bei den Grünen auf den Hund gekommene soziale Frage gewonnen?

Ludger Volmers Analysepapier ist zu finden auf Grüne Linke als PDF.

14. Februar 2008

Am 16. Mai 2008 kommt der Frühling

Das Magazin prager frühling erscheint am 16. Mai 2008.
Kurz vorher wird hier etwas mehr verraten. Jetzt noch nicht.

Katja steigt in den Zug nach Moskau

Portrait meiner Chefin in VANITY FAIR:
Katja Kipping - "Die Männer sind unsicher"
Bei den Linken gibt's nur alte Männer? Weit gefehlt. Die 30-Jährige hat die Talkshows erobert - und bald auch die Partei

Interview mit Robin Alexander in: VANITY FAIR Nr. 7, 07.02.2008
(Druckfassung als PDF)

Mal sehen, wer alles "not amused" ist.

10. Februar 2008

Auf der Berlinale: Chico - Der Film

Auf der Berlinale wurde nun der Film Chiko vorgestellt, in welchem neben Denis Moschitto und Moritz Bleibtreu auch die Bremer Rapperin und Promotions-Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Reyhan Şahin (aka Lady Bitch Ray, mehr auch hier in meinem Blog) mitspielt.

Scorsese-Szenen im Hamburger Ghetto
Ein kleines Gangsterfilm-Glanzlicht des deutschen Films war heute morgen auf der Berlinale zu sehen: Das von Fatih Akin produzierte Drogen- und Jugendgewaltdrama "Chiko" mit Denis Moschitto läuft in der Nebensektion Panorama.

Siehe www.spiegel.de, dazu auch dieses Video.
Filmstart ist am 17. April 2008.

Is Obama a Mac and Clinton a PC?

Dann weiß ich nun endlich, wen ich wählen würde...

Is Obama a Mac and Clinton a PC?

STYLES make fights — or so goes the boxing cliché. In 2008, they make presidential campaigns, too. (...)

On one thing, the experts seem to agree. The differences between hillaryclinton.com and barackobama.com can be summed up this way: Barack Obama is a Mac, and Hillary Clinton is a PC.

That is, Mr. Obama’s site is more harmonious, with plenty of white space and a soft blue palette. Its task bar is reminiscent of the one used at Apple’s iTunes site. It signals in myriad ways that it was designed with a younger, more tech-savvy audience in mind — using branding techniques similar to the ones that have made the iPod so popular. (...)

... und zwar nicht unwesentlich auch deswegen:
On the big Internet issues like copyright, Lawrence Lessig, a Stanford law professor who is supporting Mr. Obama, said there was “not a big difference on paper” between the two Democrats. Both tend to favor the users of the Internet over those who “own the pipes.” He is impressed by Mr. Obama’s proposal to “make all public government data available to everybody to use as they wish.”

In the long run, however, Mr. Lessig believes that it is the ability to motivate the electorate that matters, not simple matters of style. And he’s a Mac user from way back.

Siehe Noam Cohen, in: The New York Times, 04.02.2008

5. Februar 2008

Endlich mal niveauvolle Kritik an der Linkspartei

Mit diesem treffenden Hinweis sandte mir ein Kollege von Attac den folgenden Artikel aus dem Tagesspiegel:

Links, linker, linkisch
Alter Rotwein, neue Schläuche: Über den zweifelhaften Erfolg der Linkspartei


Von Gregor Dotzauer

Was für eine Koinzidenz, dass die Feierlichkeiten zur vierzigsten Wiederkehr des Jahres 1968 mit dem Durchbruch der Linkspartei im Westen zusammenfallen. Doch während das eine zumeist höhere Politfolkore zu sein scheint, die unter Verzicht auf tiefere Gehalte noch einmal den abenteuerlichen Anbruch eines neuen Zeitalters heraufbeschwört, ist das zweite ein wirkliches Ereignis. Oder verhält es sich genau umgekehrt?
(...)

In der Politik geht es nicht nur um Ideen, Argumente und vernünftige Einigung. Es geht um Kampf und Zähnefletschen, Einlenken und Zurückweichen, selbst wo es der Ratio widerspricht. Insofern ist die Forderung nach intellektueller Kompetenz der Linkspartei das eine. Etwas anderes ist die Tatsache, dass sich in ihrem Erfolg etwas von den bürgerlichen Parteien Verdrängtes artikuliert. Dennoch führt nichts daran vorbei, dass es weder eine soziale ohne eine kulturelle Linke noch eine kulturelle Linke ohne eine soziale geben kann. Im Moment sieht es nicht danach aus, als würden die beiden aufeinander zugehen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 02.02.2008)

Grüne Landschaften: Die Reformer

Wo ich grad mit Bündnis90/Die Grünen beschäftigt war:

Bei den Grünen gelten offenbar etwas andere Begriffe. Die lustige Truppe der "Reformer" hatte während der G8-Gipfelproteste im Juni 2007 nichts besseres zu tun, als ausgerechnet dann ein neues parteiinternes Netzwerk zu bilden, als die meisten anderen Menschen in der Umgebung grad beim Alternativgipfel in Rostock oder bei den Blockaden rund um Heiligendamm waren.

Dafür kommt diese eher virtuelle Strömung aber ansonsten ziemlich sympathisch daher ("die REFORMER. Inhalte statt Macht.") und läßt sich in ihrem Blog mit verschiedener Grüner Prominenz ablichten, z.B. mit Oswald Metzger: “Wie, das traut Ihr Euch jetzt noch?” und Silke Stokar: “So kommt ihr nie in den Bundestag!” - Eine bessere Inszenierung von Respektlosigkeit vor BerufspolitikerInnen habe ich bei den Grünen lang nicht mehr gefunden (oder ich habe das alles falsch verstanden).

Wirklich lustig fand ich folgendes:
Die unsichtbare Hand des Marktes ist nicht nur grün, sondern auch demokratisch, sozial und gewaltfrei.

Die Handvoll Reformer nennt sich auch "Göttinger Liste" und überschneidet sich in Teilen mit der AutorInnen-Gruppe des interessanten Blogs "Leider besser" bzw. remix-generation.de. Ein ausführlicher Artikel zum Selbstverständnis der Reformer findet sich hier.

Grüne Realos: Inhalte gehen vor Vernunft?

Die anhaltenden Geburtswehen des Fünf-Parteien-Systems hinterlassen manch Belustigendes. Der Erfolg der Partei DIE LINKE bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen hat ja so manche Hoffnung zunichte gemacht, dass die ungeliebte Konkurrenz doch nicht im Westen der Rublik angekommen sei und der Einzug in ein westdeutsches Landesparlament als möglichst vorübergehende Erscheinung doch bitte auf das Ausnahmebundesland Bremen beschränkt bleiben möge.

“Bei uns geht es um Inhalte” behauptet Fritz Kuhn, Grünen-Fraktionschef im Bundestag, und weist recht brüsk Überlegungen seines Vize Jürgen Trittin zu rot-rot-grünen Koalitionen zurück. Die Grüne Parteirätin Julia Seeliger kommentiert ihren Kollegen dazu treffend:
Wenn man schon die Inhalte ins Feld führt, sollte dies durchdacht sein. Immer häufiger nehme ich bei meinem Parteiratskollegen Kuhn Phrasendrescherei wahr, erst rief er zu einem Nokia-Boykott auf, jetzt muss ich festsstellen, dass das “Inhalte gehen vor” völlig sinnentleert verwendet wird. Denn das Gegenteil ist der Fall: Inhalte scheinen nicht vorzugehen - sonst würde man Vernunft walten lassen und einfach mal schauen, welche Wahlprogramme am besten nebeneinander passen. Denn da stehen ja die Inhalte drin.

Sehr schön, diesen Worten von "Reformer Seeliger" schließe ich mich gerne an. - Ähnliche Wahlprogramme zu haben, heißt ja nicht unbedingt, dass man dann auch gleich koaliert: da sind nicht nur die Grünen Realos vor.

Nachtrag 10.02.08:
Fritz Kuhn zieht die Handschuhe aus: "Mit so etwas können wir nicht koalieren", sagte Kuhn laut Spiegel gegenüber der "Leipziger Volkszeitung" in Bezug auf die Linkspartei. Gefunden in dem anonymen Blog Die peinlichsten Fritz Kuhn Zitate.