30. Dezember 2008

Zumutbarkeitsfragen - Linker Streit über Mindestsicherung

Die Mindestsicherungsdebatte der Linkspartei im Tagesspiegel vom 22.12.2008:
Sozialhilfe entzweit die Linke
Der Fraktionsvorstand der Linken beschließt Konzept für bedarfsdeckende Mindestsicherung und stößt damit auf parteiinternen Widerstand. Die stellvertretende Parteichefin Katja Kipping bezeichnet das Konzept als „Hartz IV light“.
Diese Debatte wird DIE LINKE auch 2009 beschäftigen:
Die Frage, welche Mindest- bzw. Grundsicherung die linke Partei fordert, betrifft mit der Sozialpolitik nicht nur eines ihrer zentralen Politikfelder, sondern mit der dabei verhandelten Frage "Was soll nach Hartz IV kommen?" auch einen der zentralen Punkte in der kollektiven Identität der neu gebildeten Linken. Das sollte für die Akteure in der LINKEN doch Anlass genug sein, eine solche zentrale Debatte intensiv und mit breiter Beteiligung in der Partei, in ihrem weiteren Umfeld und insbesondere mit Akteuren sozialer Bewegungen etc. zu führen.

Erste Reaktionen: Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE vom 23.12., sowie im Folgenden ein Überblick.

Zumutbarkeitsfragen
Kommentar von Tom Strohschneider in seinem Blog "Lafontaines Linke" vom 29.12.2008
In der Linkspartei sorgt das Konzept einer sozialen Mindestsicherung für Streit. Nachdem der Tagesspiegel über ein vom Fraktionsvorstand verabschiedetes neunseitiges Papier berichtete und die scharfe Kritik der Sozialpolitikerin Katja Kipping zitierte, nahm auch die Junge Welt den Ball auf. Das Blatt lässt Fraktionsvize Klaus Ernst zu Wort kommen, der beklagt, die „interne Beschlussvorlage” sei nur durch eine Indiskretion von Kippings Mitarbeitern publik geworden. Vorwürfe der BAG Grundeinkommen, es handele sich bei dem favorisierten Modell lediglich um ein „verbessertes” Arbeitslosengeld II wies Ernst zurück und bezeichnete es als „unzumutbar, eine partei- und fraktionsinterne politische Debatte weiter auf diesem Niveau zu führen”. Um Zumutbarkeit geht es auch den Kritikern von Ernst: Ein Konzept, das der Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit Vorrang einräume und Sanktionen bei der Ablehnung von angebotener Arbeit beinhalte, hebe den „völkerrechtswidrigen Arbeitszwang” nicht auf und öffne „Tür und Tor für repressive Maßnahmen”. Ernst wies die Vorwürfe zurück und erklärte, Kürzungen der Zuwendungen seien künftig „nur noch Ultima ratio”. Allerdings mache man keine „Politik für die, die nicht wollen”. Während Ernst für einen Regelsatz von 435 Euro pro Monat plädiert, fordert Kipping eine Untergrenze von 800 Euro, „unter die nicht gekürzt werden darf”. (...)
Die von Ernst monierte "Indiskretion" ist allerdings eher ein Gerücht: Mitte Dezember schickte Katja Kipping nach etlichen Nachfragen aus ihrer Fraktion eigene Änderungsvorschläge zur Vorlage von Klaus Ernst für den Beschluss des Fraktionsvorstandes an ihre MdB-KollegInnen in der Linksfraktion: Ist die Beschlusslage im Fraktionsvorstand so geheim, dass nicht alle Fraktionsmitglieder sie kennen sollen – obwohl das Vorstandspapier offenbar auf der Klausur der linken Bundestagsfraktion Mitte Januar direkt nach der Winterpause verabschiedet werden sollte?

In diesem Sinne: Ein gutes Jahr 2009!

Jahresendgrüße

the yolk blog: Merry Christmas - Greek style
AFP pic of burning christmas tree in Athens central square, I guess all the kings horses and all the kings men could not help here!

They came for the symbols of wealth alright, youth in Greece still rioting in the most serious and longlasting protests in decades. (...) It escalated after police shot a 15 year old boy on the street and there being an already unpopular government, a growing gap between rich and poor, and high youth unemployment, it was no surprise that the event became a lightning rod for disparate groups to rally together.

Around the world students and others have protested in solidarity with Greek students at times facing severe repression with some people being arrested in Bristol UK and harsh police action in Germany. In the shadow of the global economic crisis, this is a significant moment that the broader Left has not yet seen the significance of. But apparently, youth in Spain have!
Enjoy THIS symptom!
(gefunden von Rainer Rilling)

Als Nachtrag noch ein Fundstück für die besinnlichen Stunden zum Jahreswechsel:
Karl Heinz Roth: Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven (bei wildcat), Exposé zu einem neuen Buch zum "Zustand der Welt".

25.01.09, FFM: Antikapitalistischer Ratschlag

Die Interventionistische Linke (IL) und andere laden ein zum Antikapitalistischen Ratschlag am 25.1.2009 in Frankfurt am Main:
An die Linke von Heiligendamm
An alle GenossInnen, denen die Kritik des herrschenden Elends immer auch eine Frage der praktischen Intervention ist. An die Gewerkschaftsaktivist/innen, deren Projekt sich im Kampf um mehr Lohn nicht erschöpft. An alle, für die eine andere Klimapolitik vom Kampf gegen das globale Ausbeutungsgefälle nicht getrennt werden kann. An die Aktivist/innen ungezählter sozialer Initiativen, denen die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse immer auch eine Frage der alltäglichen Lebensweisen ist. An diejenigen in der Partei DIE LINKE, die sich von der Bewegung auf der Straße nicht trennen lassen und für die Politik deshalb im Sprung auf 13%+x nicht aufgeht. An alle, die auf der Suche nach einer kollektiven Form für ihre rebellischen Wünsche nach einer ganz anderen Welt sind:
Eröffnen wir gemeinsam eine Debatte um die „K-Frage“: eine Debatte über Krise, Krieg, Klimawandel, Kapitalismus – über ein kommunistisches Danach und die Kämpfe, in denen es Gestalt annimmt.
Sonntag, 25. Januar 2009, von 10 bis 18 Uhr
Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77, 60329 Frankfurt/Main
• Einladung zum Ratschlag: "An die Linke von Heiligendamm"
• Programmablauf: Tagesordnung des Antikapitalistischen Ratschlags
• Kampagnenaufruf der IL: "Ich krieg die Krise..." – Die K-Frage stellen! Die Interventionistische Linke zur Krise des Kapitalismus und den Perspektiven der Transformation

Meine Wenigkeit soll etwas zum Verhältnis von sozialen Bewegungen und Kämpfen zu Parteien referieren, schön kurz. (Zum Thema linke Partei und soziale Bewegungen siehe z.B. hier in meinem Blog.)

19. Dezember 2008

Datenschutzbeauftragter fordert Datenauszug

Datenschutzbeauftragter fordert Datenauszug für jeden Bürger
Laut Vorabmeldungen fordert der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Schaar, einen Datenauszug für jeden Bürger. «Ich halte es für eine gute Idee, dass Unternehmen und Behörden jedem Bürger unaufgefordert - vielleicht einmal pro Jahr - einen Auszug über seine jeweils gespeicherten Daten zusenden, eine Art persönlichen Datenauszug», sagte Schaar der Tageszeitung «Die Welt».
Die Agentur AFP meldet weiter:
Manch einer würde sich dann wundern, wie viele Daten an welchen Stellen über ihn gespeichert seien.
Schaar verlangte zudem die Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz. "Grundrechte müssen für den Bürger nachlesbar sein. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht gehört als Magna Charta der Informationsgesellschaft ins Grundgesetz", sagte Schaar. Karlsruhe habe bereits 1983 im Volkszählungsurteil aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet.
Der Super-GAU beim Datenschutz ist Schaar zufolge längst da. "Wir haben es mit einer Vielzahl von Datenmissbrauchsfällen zu tun, die in ihrer Summe den Super-GAU darstellen", sagte Schaar dem Blatt. Die gespeicherten Daten über die Bürger seien schon so umfangreich, dass sehr weitgehende Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten. "Das ist keine Horrorvision für die Zukunft, sondern eine gegenwärtige Gefahr."
Nachtrag: Das vollständige Interview mit Schaar findet sich hier bei WELT online:
"Viele geben ihre Daten zu leichtfertig preis"

12. Dezember 2008

Repression

Der Staat verbietet eine Anti-Repressionsdemo in Bremen (im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages am 13.12.2008 gegen staatliche Repression und auch aktuell wegen der tödlichen Polizeischüsse auf den 15-jährigen Alexis Grigoropoulos): Das Verbot des Bremer Stadtamtes erfogte mit Hinweis auf die "aufgeheizte Stimmung", dazu z.B. in der heutigen taz. Da diese "aufgeheizte Stimmung" durch staatliche Repression entstanden ist - die Bremer Behörde selbst nennt in ihrer Begründung einige Beispiele für Polizeigewalt - darf man sich fragen, ob die Polizei nun ein Beispiel liefern will für die im Aufruf des Aktionstages thematisierte Polizeigewalt und Willkür.

Derweil mobilisieren die VeranstalterInnen weiter für Samstag, 13.12.08, um 14 Uhr am 14:00 Uhr am Bremer Schlachthof. "Passt genau zu unserem Thema", heißt es aus dem Vorbereitungsbündnis. Gegen das Verbot wird gerichtlich vorgegangen.

Update: Berichte zum 13.12. (Polizeikessel, Wasserwerfer, etwa 150 Festnahmen) u.a. bei Indymedia.

10. Dezember 2008

Kärntner Kulturkampf

Satiriker-Duo Stermann & Grissemann virtuell beim “zensurlos fest“ in Klagenfurt

Im Heimatland der FPÖ ist Satire nicht willkommen, zumindest wenn sie sich mit der wochenlangen Kollektivtrauer um Kult-Nazi Jörg Haider auseinandersetzt. Das Satiriker-Duo Grissemann und Stermann (in Berlin bekannt durch die "Show Royale" auf Radio Eins) scherzte in seiner ORF-Sendung "Willkommen Österreich" einmal zuviel und sieht sich nun Morddrohungen ausgesetzt, Forderungen nach Auftrittverboten und ein mutmaßlicher Anschlag gegen ihren Veranstalter sind weitere Folgen. Für den 11. Dezember 2008 wurde eine Veranstaltung mit dem Duo an der Universität Klagenfurt abgesagt. In Kärnten regt sich aber auch Widerstand gegen diesen fortdauernden "Geist von Haider": ein “zensurlos fest“ am gleichen Tag hält die Freiheit der Kunst hoch.

Alles weitere im Artikel "Nicht ganz Kärnten tickt wie Haider" von Katharina Weise in der LesBar des Magazins »prager frühling«.

9. Dezember 2008

Dummheit

Über Dummheit kann man sich maßlos ärgern, sie lässt sich schwerlich verbieten.

Mein früherer Religionslehrer (immerhin geweihter Priester) definierte bestimmte Formen von Dummheit als "Sünde wider den heiligen Geist": Gemeint ist nicht die Lüge – also "wider besseren Wissens" – sondern wenn man etwas besser hätte wissen können, aber darauf verzichtete, es zu tun – also "wider besser wissen Könnens".

Die Botschaft an die solchermaßen Dummen ist also: Vorsicht, das ist keine leichte Sünde!
Aber was sage ich den Atheisten?

7. Dezember 2008

Green New Deal

Der "Klimawandel" wird auch in 2009 weiter und zunehmend Gegenstand linker Politik sein. Hoffentlich jedenfalls, denn aus linker Sicht muss gelten: Klimapolitik ist Sozialpolitik und die Frage nach globaler Gerechtigkeit.

Das öffentlich kaum mehr bestrittene Fortschreiten der ökologischen Krise (mit seinen prominentesten Ausdrucksformen Klimawandel und Energieverknappung) fällt nun zusammen mit der aktuellen ökonomischen Krise und der politischen Defensive des neoliberalen Projekts.

Nun ist die Frage nach einem "Green New Deal" in den Focus öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt: Es ist derzeit das einzige globale Projekt seitens der Eliten, welches diese Krisenerscheinungen zugleich anzugehen verspricht. Vor allem Debatten in den USA legen nahe, dass es hierfür gesellschaftliche Mehrheiten geben könnte.

Beim Green New Deal geht es um eine erneuerte ökologische Modernisierung des Kapitalismus, nachdem der Diskurs um Nachhaltige Entwicklung der letzten 20 Jahre auch aus Sicht der Eliten als gescheitert angesehen werden kann, insbesondere insofern dieser nicht in der Lage war, global effektive Ressourcenmanagementregimes zu etablieren.

Die beiden Klima-Aktivisten Tadzio Müller (Turbulence) und Alexis Passadakis (attac) analysieren diese Entwicklungen in ihren "20 Thesen gegen den grünen Kapitalismus" und plädieren für "global vernetzte soziale Bewegungen für Klimagerechtigkeit".
[Eine Fassung mit deutscher Übersetzung gibt es beim Magazin »prager frühling«, siehe PDF am Seitenende.]