2. März 2008

"Das ist nicht mal in mir selbst entschieden"

Die taz brachte hintereinander zwei intelligente Artikel zu den Koalitionsoptionen der SPD nach der Landtagswahlen.

Macchiavelli & Ypsilanti
von Micha Brumlik in der taz vom 29.02.2008
Brumlik stellt in seinem Kommentar Reflexionen über Wortbruch, politische Moral und "Treue im Versprechen" (Kant) an - nur mit Ersterem scheint es Andrea Ypsilanti in Hessen möglich zu sein, noch zu einem Regierungsbündnis zu kommen.
Sowohl Kurt Beck als auch ganz besonders Andrea Ypsilanti haben in geradezu unheimlicher Weise bewiesen, wie recht Kant hat. So hat sich die sympathische hessische Spitzenkandidatin als moralische Person bereits aufgegeben. Keine böse Nachrede ist es, dass sie auf Fragen nach ihrer Bereitschaft, sich eventuell mit Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, gesagt hat: "Das ist nicht mal in mir selbst entschieden." Andrea Ypsilanti sagte nicht etwa: "Das habe ich noch nicht entschieden", sondern, und man muss sich ihre Aussage auf der Zunge zergehen lassen: "Das ist nicht in mir entschieden." Die Kandidatin als Hohlraum, in dem irgendwelche anonymen Prozesse vor sich gehen. Indem sich Frau Ypsilanti als verantwortliche und entscheidungsfähige Person vor laufenden Kameras zerstört und so für das Land Hessen erhebliche Entscheidungen unbelangbaren Instanzen, die mit ihrer Person nicht identisch sind, überlassen hat, begab sie sich sogar des Restkapitals einer "verantwortungsethischen" Politikerin. Denn sogar von Personen, die sich an Macchiavellis "Principe" orientieren, wäre doch wenigstens zu erwarten, dass sie ihre Entscheidungen selbst treffen und zu deren Folgen stehen.

Man mag ergänzen: Warum sollte sich die Linkspartei zu dieser Selbstzerstörung dazu gesellen? Aus dem Versprochenen folgte die Abwahl von Herrn Koch im Landtag, Frau Ypsilanti würde Ministerpräsidentin, aber es gäbe keine Koalition der LINKEN mit Rot-Grün (was alle Seiten ja auch nicht wollten). Wir erinnern uns: Zu den vor der Wahl durch Ypsilanti u.a. ausgeschlossenen Dingen gehörten desweiteren auch sowohl eine Minderheitenregierung wie eine große Koalition - die Liste der verbliebenden Optionen für die SPD ist extrem kurz und man kann sich fragen, ob hier auf Neuwahlen gepokert wird, für welche SPD und Grüne hoffen, eine Schuldzuweisung dafür bei FDP und LINKEN abzuladen, um dann ihren Poker vom letzten Mal zu wiederholen: Blindes Hoffen, das sie die LINKE aus dem Landtag halten können, damit es für Rot-Grün reicht. - Auch hier droht der Running Gag, “solange abstimmen lassen, bis das Ergebnis stimmt”, bittere Realität zu werden. Nebenbei scheinen die ProtagonistInnen von Rot-Grün auch konsequent auszublenden, dass es ohne DIE LINKE im Hessischen Landtag bereits eine Schwarz-Gelbe Koalition gäbe. - Mit dem Fünf-Parteien-System gilt nun bisweilen auch: Wer am Ende nicht die CDU als Regierungspartei haben will, darf Rot & Grün erst gar nicht wählen, zumindest nicht in Hessen und Hamburg.

"Der Linkskurs ist nicht gefährlich für die SPD"
Interview mit Franz Walter in der taz vom 01.03.2008
Parteienforscher Franz Walter hält den Kurswechsel von SPD-Chef Beck in Richtung Die Linke für richtig - nicht aber die an Schröders Politikstil erinnernde Art.

PS.
Zum Zitieren unkomfortabel: Die Titel und Aufmacher der Online-Ausgabe weichen mal wieder von der Print-Fassung ab. Was denken sich die RedakteurInnen eigentlich dabei?