Aufspüren und Töten. Die Überwachungsdaten der NSA arbeiten dem Drohnenkrieg zu
von Sebastian Horn und Norbert SchepersDie Enthüllungen Edward Snowdens über die Überwachungstätigkeit der NSA und anderer Geheimdienste haben viele in Alarmstimmung versetzt. Eine wichtige Funktion der Datensammlungen ist aber bisher kaum Thema: ihr Einsatz im «globalen Krieg gegen den Terror» der USA und ihrer Verbündeten.
Wie viele Aspekte der Sicherheitspolitik, hat auch die Überwachung der Welt und der eigenen Bevölkerung durch die Anschläge vom 11. September 2001 einen phänomenalen Aufschwung erlebt. Der Umfang der Überwachungsmaßnahmen ist aber erst durch die Enthüllungen Edward Snowdens in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Vor allem «Prism», ein Programm der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) zur Überwachung und Auswertung der digitalen Kommunikation hat für heftige Diskussionen gesorgt – auch weil es direkt in die Lebenswelt vieler InternetnutzerInnen eingreift. Dabei ist «Prism» nur ein kleiner Teil des gesamten NSA-Überwachungsprogramms, und die Überwachungstätigkeit der USA ist eng verknüpft mit den Aktivitäten der anderen «Five Eyes» (Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland), wobei hier vor allem das «Tempora»-Programm des britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) durch Edward Snowdens Berichte traurige Berühmtheit erlangt hat. Schließlich zeigen die Enthüllungen über die Verstrickung deutscher Dienste, dass auch diese an der Akkumulation einer riesigen Datenmenge eifrig mitwirken und an den resultierenden Erkenntnissen in einem bisher nicht näher bekannten Umfang teilhaben.
Andererseits hat vor allem das Internet mit seiner Flut sich ständig aktualisierender Informationen die zu überwachende Datenmenge enorm anwachsen lassen. Hierdurch ist die traditionelle Achillesferse aller Datenkraken, die Auswertung, wieder besonders in den Fokus der technischen Anstrengungen diverser Dienste gerückt. Diese Schwierigkeit wurde über Jahre als Argument ins Feld geführt, warum selbst bei großflächiger Datensammlung kein Grund zur Sorge bestünde: Wer soll das schließlich alles lesen, hören, anschauen? Die Antwort, zumindest in Bezug auf das Internet, lautet «XKeyscore». Dieses ist ein System zur Abfrage und Auswertung von Metadaten und Inhalten, welche die NSA und andere Sicherheitsdienste zuvor mit verschiedenen Methoden gesammelt haben. «XKeyscore» besteht aus einer Serie von Nutzer-Schnittstellen und verknüpft die Ausgabe verschiedener Datenbanken und Filtersoftware, die es ermöglicht, für bestimmte Zielpersonen und -gruppen in Echtzeit eine große Menge Daten aus mehreren zur Verfügung stehenden Quellen zusammen zu führen und nach unterschiedlichen Kriterien darzustellen. Es geht dabei um „nahezu alles, was ein typischer User im Internet tut“, die Geheimdienste können den InternetnutzerInnen quasi beim Surfen und Chatten etc. über die Schulter schauen. Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nutzen dieses System. Offen bleibt bisher, in welchen Umfang diese damit Zugriff auf die von den «Five Eyes» gewonnenen Informationen haben.
Die USA versichern, dass die zunehmende Überwachung der eigenen Bevölkerung, aber auch der Zugriff auf die Daten anderer Länder, nicht nur völlig legal seien sondern auch ständig von der Judikative kontrolliert würden. Zuständig für die Kontrolle ist der United States Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), ein geheim tagendes Gericht, das ausschließlich die Regierung anhört und in dem ausgesuchte RichterInnen Genehmigungen erteilen oder verweigern. Die Kontrolle durch den FISC gilt KritikerInnen als äußerst ungenügend, ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter bezeichnete das Gericht als «kangaroo court with a rubber stamp» (sinngemäß: eine zahnlose Jasager-Versammlung). Seit seinem Entstehen 1979 hat es von insgesamt fast 34.000 Anträgen zur Überwachung ganze elf abgelehnt.
Die Folgen dieser Datensammlungen werden jetzt ausgiebig diskutiert. Dabei gerät aus dem Blick, was einer der Hauptgründe für den Ausbau der Überwachungsinstrumente nach dem elften September war: das Aufspüren und Ausschalten («capture or kill») der «Feinde Amerikas». Dieser «globale Krieg gegen den Terror» ist ein weltweiter, verdeckt geführter Krieg um diejenigen zu jagen, zu fassen und zu töten, welche durch die US-Regierung als Feinde bezeichnet werden. Spezialkommandos, Geheimgefängnisse und Söldnerarmeen werden dabei zunehmend abgelöst durch Exekutionen mittels einer global geführten Drohnenkampagne. Datensammlungen und Drohnenkriegsführung greifen in zwei wichtigen Bereichen ineinander: bei der Erstellung der sogenannten «Disposition Matrix» und der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen, «Targeted Killings», insbesondere in Form der «Signature Strikes».
Die «Disposition Matrix» ist eine Datenbank mit Zielpersonen, welche die US-Regierung verdächtigen, in irgendeiner Form Akteure terroristischer Gruppen zu sein, und diese gern verfolgt, verhaftet oder beseitigt sähen. Die «Disposition Matrix» geht aus der Verschmelzung der Ziellisten («capture/kill lists») der CIA, des Joint Special Operations Command (JSOC) und weiterer US-Sicherheitsbehörden hervor. Sie enthält alle relevanten Daten zu einzelnen «Verdächtigen» (Biographie, Aufenthaltsort, Umfeld etc.) sowie strategische Hinweise zu deren Beseitigung oder Verhaftung. Da die Matrix in Echtzeit aktualisiert wird und sich unter anderem aus Bewegungsprofilen und Handyortungsdaten speist, spielen die von der NSA erhobenen Informationen eine wichtige Rolle. Noch wichtiger sind die NSA-Daten aber wohl für sogenannte «Signature Strikes». Diese sind eine Art Rasterfandung mit Drohnen und Vor-Ort-Exekution durch Raketenbeschuss. Einem Katalog von Verhaltensmustern («Signatures») folgend, werden Personen als Ziele identifiziert, ohne dass die genaue Identität der einzelnen Zielperson bekannt sein muss. Hierbei kommt es immer wieder zur Tötung von ZivilistInnen oder lokalen Verbündeten der USA. Die genaue Rolle der NSA und der anderen Geheimdienste in diesem Kontext ist bisher unbekannt. Da diese aber für die Erfassung und Auswertung der für solche Drohnenschläge notwendigen Daten zuständig sind, ist von einer Beteiligung auszugehen.
Ein bedrohliches Szenario: Der nächste Präsident findet – zusammen mit den nie dagewesenen Überwachungsmöglichkeiten der Geheimdienste – eine hoch effiziente, global operierende Tötungsmaschinerie vor: Ein stromlinienförmig gemachtes System, das nahezu beliebig die Identifikation, Lokalisierung und Liquidierung unliebsamer Personen erlaubt – und das alles ohne nennenswerte externe Aufsicht und Kontrolle. Die Möglichkeit eines Nachfolgers mit einer noch weiter gehenden Agenda als Barack Obama – im globalen Antiterrorkrieg oder auf anderen sicherheitspolitischen Schauplätzen – ist als Zukunftsvision ausgesprochen düster.
Sebastian Horn ist Finanzcontroller im Auslandsbereich der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Norbert Schepers leitet das Bremer Büro der Stiftung.
Updates:
Hier der Artikel im Journal ROSALUX Nr. 2/2013 (PDF), Seite 13.
Damit hatten wir also recht, siehe: NSA’s extensive involvement in targeted killing program.