19. November 2008

Argumente vom Homo-Stammtisch

Homophobiedebatte in Berlin

Der Berliner CDU-Politiker Sascha Steuer eröffnete vor kurzem eine Debatte um homophobe Gewalt in Berlin (dazu siehe z.B. hier und hier). Steuer verweist auf den "Migrationshintergrund" der Täter sowie das "Entstehen von Parallelgesellschaften" und knüpft damit an die unselige Leitkultur-Debatte der Union (siehe z.B. hier) an. In seinem Kommentar „Die Übergriffe machen uns Angst“ forderte Steuer im Tagesspiegel, Intoleranz und Gewalt junger Migranten in Berlin nicht länger zu dulden und warf der rot-roten Koalition Untätigkeit vor.

Klaus Lederer, Landeschef der Linkspartei, antwortete ihm an gleicher Stelle: "Kein Staat nimmt uns den Kampf ab" und verweist darauf, dass Homophobie aus der Mitte der Gesellschaft kommt und mitnichten exklusives Problem migrantischer Männer ist. So könne man ja schlecht den Bischöfen, die sich mit Sympathie gegenüber Schwulen schwer tun, (quasi im Sinne der Leitkultur-Debatte) die Ausweisung androhen. "Wir Lesben und Schwule, lehrt alle Erfahrung, müssen unsere Emanzipation in der Gesellschaft selbst erkämpfen. Dieser Kampf dauert schon Jahrzehnte und ist schwierig. Kein Staat nimmt uns das ab." Lederer verweist zugleich auf entschlossenes Handeln von Berliner Behörden. Dem Unions-Politiker Steuer empfiehlt er, die Diskriminierung gerade in der Mehrheitsgesellschaft anzugehen anstatt den "Homo-Stammtisch" zu bedienen.

Aus aktuellem Anlass also:
In der LesBar des Magazins »prager frühling« findet sich das Vortragsmanuskript "Jeder für sich oder miteinander lernen? Der gemeinsame Ethikunterricht als eine Antwort auf die multikulturelle Realität Berlins" von Klaus Lederer, mit Überlegungen zum gesellschaftlichen Miteinander, nicht nur ausgehend von der Debatte über einen Religionsunterricht an Berliner Schulen, sondern auch anhand der Frage nach dem Umgang mit gesellschaftlichen Einstellungen zur Homosexualität.

17. November 2008

Ruhig Blut, bitte.

Mit juristischen Mitteln gegen Wikipedia: Politiker mal wieder gescheitert

Lutz Heilmann, LINKE-MdB aus Schleswig-Holstein, musste am Sonntag zurückrudern: Nachdem er am 13. November per einstweiliger Verfügung die deutsche Internetadresse (www.wikipedia.de) der beliebten Web-Enzyklopädie Wikipedia wegen angeblich falscher Aussagen im Artikel zu seiner Person hatte sperren lassen, zog er die Verfügung nun zurück. Er räumt in einer Erklärung ein, dass der juristische Weg sich "als problematisch erwiesen" hätte – die Strafanzeigen gegen einzelne Wikipedia-AutorInnen will er laut einer Heise-Meldung allerdings aufrechterhalten. (Siehe auch SpOn, Heise.)

Pikanter Aspekt der Angelegenheit: Heilmann hatte für das MfS als Personenschützer gedient und dies, entgegen den klaren Beschlüssen der Linkspartei zum Umgang mit der Stasi-Vergangenheit, der ihn wählenden Parteiversammlung verschwiegen. Erst später wurde seine Biografie-Bereinigung durch den Spiegel aufgedeckt, seit dem finden in seinem Landesverband heftige Auseinandersetzungen statt. Einige der Vorgänge fanden sich auch in dem Heilmann-Artikel bei Wikipedia wieder. – Kaum verwunderlich, dass nun an etlichen Stellen im Web wieder der Vergleich nach dem Muster "LINKE = DDR & Zensur" auftaucht.

Da die gesperrte Internetadresse nur eine Weiterleitung auf das eigentliche deutschsprachige Angebot der Wikimedia Foundation de.wikipedia.org war, blieb dieses dem Zugriff von Heilmanns juristischer Attacke entzogen. Auch der Artikel über Heilmann war weiter online und wurde inzwischen von der regen NutzerInnengemeinde weiter bearbeitet – laut Heilmanns Erklärung wurden dabei die "verletzenden Inhalte weitgehend aus dem entsprechenden Artikel entfernt".

Tendenziöse Artikel und falsche Aussagen, insbesondere bei Personen-Artikeln, sind tatsächlich Alltag bei Wikipedia: Umstrittene Passagen sind Gegenstand ganzer edit-wars. Allerdings liegt hier auch eine Stärke des Projekts, allzu tendenziöse Formulierungen und allzu offensichtliche Werbetexte werden in der Regel schnell Gegenstand von Korrekturen durch die zahlreichen NutzerInnen des Portals – auch wenn die gefundenen Kompromisse nicht immer befriedigend sind (dazu ausführlicher bei Tom Strohschneider).

Was normale Web-NutzerInnen in der Regel mit mehr oder weniger Geduld ertragen, ist offenbar für einzelne PolitikerInnen der Partei DIE LINKE nur schwer einsehbar: Zuletzt hatte die damalige Vize-Vorsitzende der Linkspartei Katina Schubert Ende 2007 die juristische Keule geschwungen und Strafantrag gegen Wikipedia gestellt. Sie musste dann ebenfalls einsehen, dass dieser Weg ein Fehler ist.

Man darf erwarten, dass soviel Mangel an Souveränität und Lernfähigkeit parteiintern nicht ohne Wirkung bleibt. Welchen Schaden kann man als Bundestagsabgeordneter dem Ansehen seiner Partei zugefügen, ohne dass die zugehörige Partei eine offene und sachliche Debatte über das Wirken dieser Person führt und Konsequenzen zieht? (Ja, ich weiß schon, dies ist in Parteien aufgrund der negativen Medienresonanz, die man damit selbst erzeugt, nicht wirklich beliebt.)

Partei-Mitarbeiter Mark Seibert grübelt in seinem Blog über Schlussfolgerungen aus der Sache:
Man muss es irgendwie schaffen, Mandatsträgern näherzubringen, wie partizipatives Internet fuktioniert, wie die Verbreitung freien Wissens funktioniert und wie Kommunikation dort funktioniert. Und das möglichst zu eine Zeitpunkt, wenn noch nicht solche Katastrophen passiert sind.
Das hört sich nicht sehr optimistisch an. Schließlich hat DIE LINKE der interessierten Öffentlichkeit mit dieser Angelegenheit mal wieder eindrucksvoll mangelnde Medienkompetenz und Unverständnis für das Medium Internet demonstriert.

10. November 2008

28.11.08, Berlin: Gesprächskreis der Emanzipatorischen Linken zur Programmdebatte

Freitag, 28. November 2008, um 18 Uhr in Berlin:
Karl-Liebknecht-Haus, Konferenzraum 3, Kleine Alexanderstr. 28, 10178 Berlin

Die Emanzipatorische Linke (Ema.Li) ist im Frühjahr 2006 als Denkrichtung in der Partei DIE LINKE und in ihrem Umfeld im Zusammenhang mit der Vereinigung der beiden Linksparteien PDS und WASG in Deutschland hervor getreten. Im damaligen Parteineubildungsprozess konnte Ema.Li mit dem Papier "Freiheit und Sozialismus – Let's make it real. Emanzipatorische Denkanstöße für die neue linke Partei" eine wichtige Rolle in der programmatischen Debatte spielen. Dieses Programmpapier, weitere Debattenbeiträge sowie Veranstaltungen finden sich auf dieser Website wieder.

Ema.Li hat bewusst darauf verzichtet, eine eigene machtpolitische Strömung zu bilden. Dies sehen wir weiterhin als richtig an, denn es besteht eine Notwendigkeit, jenseits der Strömungslager in der Partei eine unabhängige Diskussion für links-emanzipatorische Positionen zu führen. Nach der Gründung der Partei DIE LINKE steht eine inhaltliche Neubegründung der LINKEN weiterhin aus. Dies soll durch die bereits begonnene – bisher allerdings erst im kleinen Kreis geführte – Programmdebatte der neuen Partei eingelöst werden.

Als Emanzipatorische Linke innerhalb und außerhalb der Linkspartei tragen wir eine wichtige Verantwortung für die Weiterführung eines linken Erbes, welches über die Grenzen der traditionellen ArbeiterInnenbewegung hinausreicht und zu dem zahlreiche kritische Theorie- sowie praktische Handlungsansätze gehören. Die Idee einer Emanzipatorischen Linken bleibt aktuell und populär, was auch jüngere Prozesse innerhalb der Grünen zeigen.

Die nun mit breiter Beteiligung zu führende Programmdebatte der linken Partei ist zugleich die Notwendigkeit, sich als Emanzipatorische Linke darin deutlich zu Wort zu melden und die Debatte über ihre Grenzen hinaus zu tragen.

Deshalb möchten wir ein regelmäßiges Treffen (Gesprächskreis) initiieren, welches mit Debatteninterventionen und Öffentlichkeitsarbeit diesen Anspruch umsetzt. Zur Vorbereitung und Mitgestaltung dieses Prozesses laden wir Dich und Euch herzlich ein!

Vollständige Einladung auf der Ema.Li-Website.

3. November 2008

Yps ohne Gimmick

Die morgige Abwahl des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch wird nix: Neben der bereits bekannten Dagmar Metzger entdecken drei weitere Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion einen Tag vorher ihr Gewissen und wollen nun doch nicht ihre SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin mitwählen. – Die Quittung dürfte die zerstrittene hessische SPD bei den vermutlich nun anstehenden Neuwahlen erhalten.