24. November 2014

Was folgt aus dem Krieg im Irak und in Syrien für die Linke?

Der Krieg im Irak und in Syrien ist der Ausgangspunkt für eine Reihe von politischen Auseinandersetzungen, welche innerhalb der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit geführt werden. Die Vernichtungskampagne des Islamischen Staates (nicht nur, aber insbesondere) gegen die kurdische und yezidische Bevölkerung im Irak und in Syrien wirft viele Fragen auf: Zum Konflikt selbst, zu seinen Hintergründen und natürlich zum Umgang damit – auch für die Linke insgesamt.

Syrien und Irak: Global War on Terrorism reloaded?
Während der globale Krieg gegen den Terrorismus nach dem Scheitern des Arabischen Frühlings in mehreren Ländern in eine neue Runde geht, hat sich die Organisation Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ehemals ISIS) zu etwas Neuem transformiert: Von einer kleinen, radikalislamistischen Gruppe die 2003 am Aufstand gegen die Besatzung des Irak teilnahm, zur wohl erfolgreichsten und mächtigsten dschihadistischen Organisation der Welt; mehr transnationale Aufstandsbewegung als klassische Terrorgruppe. Der Islamische Staat hat seinen Ursprung im Al-Qaida-Netzwerk in verschiedener Hinsicht längst hinter sich gelassen, kontrolliert nun erhebliche Gebiete in Syrien und im Irak und ist dabei, tatsächlich so etwas wie einen islamischen Staat nach seiner Vorstellung zu schaffen, die Keimzelle eines neuen Kalifats.
Wer über Maßnahmen gegen den Islamischen Staat reden möchte, sollte nicht vergessen, dass der weltweite Antiterrorkrieg bereits seit über 13 Jahren geführt wird. Fast alle Länder, in denen dieser Krieg besonders intensiv geführt wurde, stehen heute näher am Abgrund als zuvor: vor allem Irak, Pakistan, Somalia, Yemen und auf andere Art auch Lybien, Syrien und teilweise Ägypten. In Afghanistan bleibt der imminente Abzug der NATO abzuwarten, die Rückkehr der Taliban hat allerdings längst begonnen (und manche sagen, wirklich weg waren sie nie).
Die Aufarbeitung der Geschichte des Antiterrorkrieges, sowie natürlich dessen globale Vorgeschichte, kann als eine wesentliche Grundlage für eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage im Nahen und Mittleren Osten angesehen werden.
Was die öffentliche Debatte und linke Bildungsarbeit ebenso leisten sollte: Einen Überblick über die Ereignisse, Hintergründe und Akteure herstellen und mit entsprechenden Bildungsangeboten aufarbeiten, welche gesellschaftlichen Entwicklungen zu diesen Konflikten hinführten und welche Kräfte und Interessen sich jeweils gegenüberstehen. Es muss versucht werden, monokausale, pauschalisierende und auf Ressentiments basierende Erklärungsmuster dabei abzubauen. Teil der Aufklärungsarbeit sollte ebenso die Information über Kurden und Yeziden sein, Anknüpfungspunkte hierfür bieten die lokalen migrantischen Communities.

Wohin führt die linke Debatte?
Wie kann und soll dem Islamischen Staat begegnet werden? Wie will die Linke den Opfern des Islamischen Staates (und anderer dschihadistischer Gruppen) helfen und beistehen? Unter welchen Bedingungen sind Linke dann doch für Interventionen und Einsatz militärischer Mittel bzw. Waffenlieferungen? Oder sollte es bei den Debatten, die auf die Kämpfe um Shingal und Kobane folgten, nicht eher um Selbstverteidigung und Hilfe zur Selbsthilfe gehen?
Generellere Folgerungen richten völlig zu Recht den Blick auf die UNO, denn Debatten über rechtliche Grundlagen militärischer Intervention zur Terrorbekämpfung und über dessen konkrete Ausgestaltung sind derzeit gesellschaftlich völlig marginalisiert: Wie bringen wir Völkerrecht, Rule of Law und legitime internationale Institutionen "zurück ins Spiel"? Ist die Schlacht um Kobane dafür aber der geeignete Ausgangspunkt? Wird der Verweis auf die UN und die Koppelung jeglicher politischer Initiative an einen Beschluss des UNSC nicht zur puren Fundi-Ideologie, wenn Linke doch sonst strömungsübergreifend das Scheitern der internationalen Mechanismen feststellen und genau wissen, es wird im Sicherheitsrat keinen substantiellen Beschluss zu einer Hilfe für die KurdInnen geben? Was sind Vorschläge zur Reform der UNO, und wo sind die Initiativen der Linken dazu?
Was sind die sicherheitspolitischen Vorstellungen, mit denen die Linke den Phänomenen wie dem globalen Dschihadismus, dem internationalen Terrorismus und (teilweise neuen) Entwicklungen wie dem Islamischen Staat (transnationale Aufstandsbewegung) und daraus resultierenden, asymmetrisch geprägten Auseinandersetzungen begegnen will?
Haben die großen Lager innerhalb der Linken eine der globalen Realität adäquate Antwort anzubieten? Derzeit wohl kaum, ist zu befürchten; dies ist auch bei keiner der Strömungen in der Linkspartei der Fall. Eine programmatische Debatte, die dies zumindest ein Stück weit aufzuheben vermag, hätte das Potential, für neue Gemeinsamkeit in einer Frage zu sorgen, welche ihrerseits ebenso das Potential hat, das linke Spektrum insgesamt und auch die linke Partei, noch tiefer als zuvor und erneut aufzuspalten.
Die weltweite Antiterrorkriegsführung des letzten dutzend Jahre hat in mehrfacher Hinsicht bereits eine Infragestellung grundlegender Menschenrechte gebracht. So untergräbt die extralegale Hinrichtung von Verdächtigen, z.B. durch Raketenbeschuss mit Hilfe von Drohnen, das grundlegende Recht auf Leben. Die automatisierte bzw. ferngesteuerte und unbemannte Kriegsführung treibt die Erosion internationaler Normen und Institutionen sowie der humanitären Rechte weiter voran: Wenn Tötungsentscheidungen zunehmend auf Computerberechnungen beruhen, dann werden elementare Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt, es kann keine zurechenbare Verantwortlichkeit mehr geben. Das Beispiel der Drohnenkriege zeigt: auch der technologische und waffentechnische Fortschritt gebietet dringend, neue Regulierungsrahmen auf internationaler Ebene zu schaffen.
Da der globale Krieg gegen den Terrorismus einfach nicht aufhören will und die transnationale, dschihadistische Aufstandsbewegung eine virale Dynamik erfährt, deren Ende nicht absehbar ist, wird die Schwäche der Linken durch Abwarten nicht vorbei gehen, sondern weiter zunehmen. – Zeit für eine programmatische Debatte in der globalen Linken.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel “Unsere Schwäche wird durch Abwarten nicht kleiner” am 21.12.2014 in der Tageszeitung “Neues Deutschland”.

Die Veranstaltung zum Text: 
Der Krieg in Syrien und im Irak: Wohin führt die linke Debatte?
rli jour fixe mit Doris Achelwilm, Cindi Tuncel, Mizgin Ciftci, Norbert Schepers und anderen

Mittwoch, 03. Dezember 2014, um 18:30 Uhr in Bremen
Weiteres unter www.rosa-luxemburg.comMit Anmeldung!

Meine Veranstaltungsangebote zu diesem Themenkomplex:

Weitere Informationen und Veranstaltungen zum Themenkomplex Krieg in Syrien und im Irak etc. bei der Rosa-Luxemburg-Initiative (Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen).